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Entbeschäftigt – und was dann?

Was kommt nach dem aktiven Erwerbsleben? Wie sollte, wie kann man den Ruhestand aktiv gestalten? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Wolfgang Schiele, der anderen  als Vor-Ruhestandscoach zur Seite steht. Als Gastautor liefert er auf der Seite des Deutschen Instituts für Altervorsorge Antworten. Zum Beispiel: Entbeschäftigt – und was dann?

Wie weit sind Ihre Überlegungen für den späteren (Un)Ruhestand schon gediehen? Gibt es Pläne und Ziele für die dritte Lebensphase  oder lassen Sie die Dinge einfach mal so auf sich zukommen? Ein paar Gedanken für die Zeit nach dem Beruf.

Das individuelle, aber auch das gesellschaftliche Bewusstsein für die Berufung nach dem Beruf wächst stetig. Geschuldet ist dies ein Stück weit der Erkenntnis, dass wir bei immer besserer körperlicher und geistiger Konstitution mit dem offiziellen Ausscheiden aus dem Beruf – ich benutze hier gern den Begriff „Entberuflichung“, weil es meist nicht ganz unfreiwillig erfolgt – statistisch noch mindestens 20 Lebensjahre vor uns haben. Das ist die komplette Zeitspanne unserer Kinderstube plus unsere Schul- und Ausbildungszeit, gegebenenfalls zuzüglich einiger Jahre Studium. Das komplette Programm aus Prägungs-, Modellierungs- und Sozialisierungsphase. Ein Zeituniversum, das uns früher unendlich lang erschien und in der Frage gipfelte: „Wann werde ich endlich erwachsen sein?“

Der Berufseintritt wird gut vorbereitet

Zeitlich Vergleichbares liegt vor uns. Mit all unseren Erfahrungen und Erinnerungen, unseren Träumen und Wünschen. Doch sind wir auch darauf vorbreitet? Wenn wir zum Beispiel zurückblicken auf unsere Jugendzeit, dann erinnern wir uns an die vielen Hilfen, die uns für die Berufswahl zur Verfügung standen. Ganze Bibliotheken waren vollgestopft mit Büchern zur Frage: Was will ich werden? Berufsberatung und Hinweise allerorten von den Erwachsenen, die meinten, das Beste für des Nachbars Sohn oder Tochter berufliche Zukunft zu kennen. Firmen buhlten um die besten Schulabgänger und luden zu berufsorientierenden Veranstaltungen ein. Ja, es gab ein Berufseinstrittsmanagement.

Wer aber hilft beim Berufsaustritt?

Aber wo, ja wo, ist das Berufstrennungs-, das Berufsaustrittsmanagement? Wer bereitet uns, die Vertreter der Generationen „50plus“ oder „70minus“, auf den Ruhestand vor? Auf weitere 20 Lebensjahre berufsfreien Ruhestand? Nach den etwa 40 Jahren, in denen wir uns weitgehend über den Beruf, über unsere Karriere definiert haben? In einer Zeit, wo wir noch lange nicht als Senioren oder gar als Alte bezeichnet werden wollen? In einer Zeit, wo wir objektiv zehn Jahre jünger aussehen und uns um 15 Jahre jünger fühlen als unsere gleichaltrigen Vorfahren vor 100 Jahren?

Der Arbeitsschalter wird auf Aus gestellt

Der Staat wird dies nicht tun. Er setzt auf die Selbstheilungskräfte der gesellschaftlichen Entwicklung und die des Individuums. Der Ruhestand ist nach wie vor positiv besetzt und das menschliche Glück in demselben automatisch programmiert. Also: genießt das Leben! Aber die Unternehmen? Sind sie sich, vor allem die Entscheider, die ja selbst einmal in die(se) Jahre kommen, darüber im Klaren, was der Abschied für die aus dem Beruf Scheidenden für einen nachhaltigen Einschnitt im Leben hinterlässt? Welche Konsequenzen das Umlegen des „Arbeitsschalters“ auf „Aus“ mit sich bringt?

Postberufliche Verantwortung

Die Mitarbeiter haben über einen langen Zeitraum mit ihren Ressourcen und teilweise erheblichem Engagement hinter den Zielen des Unternehmens gestanden. Wäre es denn jetzt nicht an der Zeit, in einer Art „postberuflicher Verantwortung“ den Ausscheidenden eine Hilfe zum Übergang in den Ruhestand an die Hand zu geben? Sei es durch die Flexibilisierung von Arbeitszeiten, Seniorenteilzeitmodelle oder auch einfach nur durch ein Coaching oder Seminar/Workshop zur Planung und Neuorganisation der eigenen Ruhestandszukunft? Ich halte es für existenziell wichtig, die Entberuflichten zu unterstützen und es ihnen leichter zu machen, ihren weiteren Lebensweg tatsächlich in Einklang mit sich, ihren persönlichen Umfeld und der Gesellschaft zu bringen.

Zu den wichtigsten Regeln für die Vorbereitung auf und den Übergang in den Ruhestand gehören mindestens folgende Kriterien und Überlegungen:

Seinen Ruhestand planen. In der Regel wissen wir, wann der Moment der lebensverändernden Maßnahme „Ruhestand“ oder „Rente“ eintreten wird. Nehmen wir uns also ein paar Jahre vorher schon einmal die Zeit und spielen die Szenarien durch, die dann möglich werden können. Denken wir zurück an die Zeit, in der wir noch Träume hatten und uns frustriert Wünsche versagen mussten, weil wir entweder die Karriereleiter emporstiegen, für die Familie sorgen mussten oder einfach nicht über die Mittel verfügten, Kindheitsträume Realität werden zu lassen. Gehen wir sie durch, die Etappen unseres zurückliegenden Lebens, und schauen uns um, was liegen geblieben ist oder was wir uns nicht trauten, offen auszusprechen oder gar zu tun. Was hält uns heute ab, unsere unerfüllten Wünsche, Hobbyfantasien und Traumschlösser umzusetzen? Notieren wir diese Ideen und beginnen uns auszumalen, wie sie Wirklichkeit werden. Jeder Gedanke ist ein Baustein der zukünftigen Realität.

Sich selbst erkennen. Nichts ist wichtiger zu wissen als: „Wer bin ich wirklich und wer will ich noch sein?“ Wir für uns wissen am besten, welche Stärken und Schwächen wir haben, über welche geistigen Fähigkeiten und materiellen Möglichkeiten wir verfügen. Kurz: was wir können und vermögen. Aber auch was wir noch brauchen, um unsere Ziele zu verwirklichen. Was ist uns jetzt wichtig? Was ist weniger wichtig als in den Zeiten, in denen wir ein Drittel unserer Lebenszeit im Beruf verbrachten? Jetzt haben wir die Möglichkeit, unsere wichtigsten inneren Werte mit viel weniger Rücksicht auf Job, Karriere und Kollegen zu leben als vor dem Ruhestand.

Was uns glücklich und zufrieden macht, kann niemand außer uns selbst bestimmen. Nur wenn unser Gefühl uns ausdrücklich sagt: das ist der richtige Weg, dann ist er gut und sinnvoll. Wir müssen uns wohlfühlen können in unserer neuen Ruhestandswelt. Wir sind es uns wert und haben es verdient. Nehmen wir uns also die nötige Zeit zur Selbstreflektion und Perspektivenfindung – und wenn es sein muss, holen wir uns professionelle Hilfe.

Für Nachhaltigkeit sorgen. Die Zeitspanne, die uns bleibt, wird von Generation zu Generation immer länger. Eine heute 60-Jährige kann noch mit 25 Jahren Lebenszeit rechnen, ein 60-Jähriger mit 21,5 Jahren. Befreit von den Mechanismen des Arbeitsalltags, werden wir zuvorderst all die Dinge angehen, die liegen geblieben sind. Wir bringen die Versicherungsunterlagen auf Vordermann, regeln die Geldanlage, wenn nötig, neu, räumen Keller und Dachboden auf. Reisen hierhin und dorthin. Aber ergibt das einen Sinn für die nächsten 20 Jahre? Macht es wirklich glücklich für den gesamten „Restrentenzeitraum“? Ist es erfüllend? Oder müssen wir uns immer wieder stückchenweise neu erfinden, um die nächsten Monate und Jahre mit Sinn und Glück zu füllen?  Wir sorgen uns um die Enkelkinder. Aber auch sie wachsen heran. Eines gar nicht so fernen Tages sind sie groß oder haben andere Interessen, als von Oma und Opa „betreut“ zu werden. Ist es nicht besser, sich einer langfristigen, einer nachhaltigen und komplexeren Aufgabe zu widmen, die nicht nur nach innen in unser persönliches Umfeld hineinwirkt, sondern auch auf die Gesellschaft zurück? Ein Ehrenamt, eine Teilzeitarbeit oder aber sogar einen neuen Beruf angehen? Den Traumberuf unserer Kindheit? Zurückgeben, zurückspiegeln von Erfahrungen und Kompetenzen, über die nachrückende Generationen (noch) nicht verfügen.

Sich selbst umprogrammieren. Kaum sind wir raus aus dem Beruf, wundern wir uns vielleicht: das Unternehmen funktioniert auch ohne uns und geht nicht pleite. Im Gegenteil: die früheren Kollegen schaffen die Arbeit auch. Sie haben uns aus ihrem Tagesablauf sehr schnell ausgeblendet. Unsere frühere Rolle hat jemand anderes übernommen, die Aufgaben wurden neu verteilt und die Abläufe wieder funktionsfähig gestaltet. Genau da müssen wir auch als Ruheständler ansetzen: Unsere Abläufe neu strukturieren, denn die Struktur und Zwänge unserer Arbeitswelt existieren nicht mehr. Wir sind frei. Freigesprochen per Rentenbescheid. Wir tragen eine neue Verantwortung uns selbst gegenüber. Wir sind gleichzeitig sowohl zum Chef als auch zum Mitarbeiter unseres Lebens geworden. Aber niemand hat uns darauf vorbreitet. Der unendlich große Freiraum an Zeit muss von uns ausgefüllt werden. Sonst versinken wir entweder in den Banalitäten des Alltags oder verzetteln uns inmitten tausender Ideen und Angebote. Oder wir stehen Partnern und Freunden im Wege herum, als Nörgler oder auch als Zeitsaboteure. Unsere soziale Rolle als Mitarbeiter oder Vorgesetzter ist abgeschlossen: die Identifikation mit dem Beruf ist endgültig Vergangenheit. Wir müssen erst unsere neuen Rollen finden, in denen wir wieder Anerkennung erwarten dürfen. Sie mit den entsprechenden Aufgaben und Abläufen füllen, wollen wir nicht unglücklich oder depressiv werden. Das ist eine äußerst kreative, aber auch anspruchsvolle Arbeit.

Position beziehen im Leben. Wir haben Zeit für etwas, wovor wir uns lange Zeit im Leben prima drum herum mogeln konnten: vor den existenziellen Fragen im Dasein, vor der Frage nach dem Sinn im Leben. Wer möchten wir sein in dieser neuen Welt? Welche Ziele möchten wir noch erreichen und zu wem oder was zugehörig fühlen? Wie ist unser Verständnis als Teil eines größeren Ganzen, in dessen Mitte wir leben? Woran glauben wir und wovon sind wir überzeugt? Möchten wir mit uns ins Reine kommen und mit unserer Umwelt ein lebensübergreifendes Fazit ziehen? Wird es uns einst schwer fallen, uns von diesem Leben zu verabschieden?

Wir müssen uns klar darüber sein, dass diese und ähnliche Gedanken mehr und mehr in den Mittelpunkt unseres Lebens rücken werden. Die Freiheit und der Abstand von daseinssichernder Arbeit bedeutet gleichzeitig auch mehr Freiräume für die eigene geistige Entfaltung zu haben. Unsere Existenz im Ruhestand ist mehr oder weniger gut abgesichert, tätiges Handeln wird abgelöst werden durch das Vordringen in mentale oder gar spirituelle Welten. Schließlich wird er gekrönt vom Rückblick auf ein Leben, das wir hoffentlich erfüllt, nutzbringend, für uns sinnvoll und glücklich gelebt haben.


Wolfgang Schiele begleitet und unterstützt als Spezialist für (Vor)Ruhestands- und Übergangscoaching Menschen, die sich nach ihrem Berufsleben in ihrer dritten Lebensphase neu orientieren wollen oder müssen.