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Auf dem Weg zum Digital Advice

Unter dem Titel „Digital Advice – Lösungen für das Niemandsland zwischen solitären Online-Tools und der Beratung im Zwiegespräch“ stellte das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA) auf dem MCC-Kongress Mitte Februar in Berlin gemeinsam mit dem Hamburger Beratungsunternehmen evers & jung Konzeptideen für die Veränderung von Beratungsprozessen unter den Bedingungen der modernen Netzwerkökonomie vor.

Es mangelt im Netz nicht an Informationen und Tools, die sich mit den privaten Finanzen, der Kapitalanlage und der Vorsorge beschäftigen.

Die Informationsflut im digitalen Raum ist nicht allein wegen ihrer schieren Größe vom Einzelnen schwer zu handhaben, sondern es wirkt noch ein zusätzlicher erschwerender Faktor der Verhaltensökonomie: Informationen ohne Bezugssystem sind nicht oder nur eingeschränkt zu verwerten.

Aber gerade das Bezugssystem fehlt in der Regel. Die meisten Informationen, die im Netz angeboten werden, muss der Nutzer selbst bewerten. Er bleibt beim Entscheidungsprozess also allein. Transaktionsplattformen zum Beispiel benötigen fertige Entscheidungen. Sie stehen also am Ende des Prozesses.

Das Gleiche gilt für Vergleichsplattformen. Sie setzen ebenfalls ziemlich weit hinten im Entscheidungsprozess ein. Wer eine Vergleichsplattform nutzt, der weiß bereits, was er sucht.

Standardisierte Individualisierung – nur scheinbar paradox

Dem Konzept des Digital Advice liegt eine Überlegung zu Grunde: Es bedarf auch in der Online-Welt einer Begleitung, einer Führung des Konsumenten von Finanzdienstleistungen, allerdings muss diese weit vor der Produktauswahl und auf völlig andere Art anfangen. Und sie muss Anschlussstellen schaffen, die auch wieder den Wechsel in die klassische Beratung ermöglichen. Das Beratungsunternehmen evers & jung hat dafür den Begriff der standardisierten Individualisierung eingeführt. Das klingt beim ersten Hinhören zunächst paradox, weil zwei scheinbar gegensätzliche Verfahren vermischt werden. Aber dieses Prinzip basiert auf einer folgenreichen Erkenntnis: In der Beratung von Retailkunden muss Komplexität intelligent verringert werden.

Rückgriff auf die 80/20-Regel

Mit dem Begriff „standardisierte Individualisierung“ wird ein Verfahren umschrieben, mit dem die Informationsverarbeitung für den Kunden mit Hilfe von Online-Techniken erleichtert werden kann. Die meisten Online-Angebote, die heute zu finden sind, liefern die pure Information. Er bekommt in der Regel nur eine statische Information, braucht aber eigentlich eine prozessuale. Die standardisierte Individualisierung macht mittels eines modernen methodischen Ansatzes Verbraucher handlungsfähig beziehungsweise veranlasst sie durch niedrige Eintrittsbarrieren, sich überhaupt erst einmal mit dem Thema Altersvorsorge zu beschäftigen. Dabei wird auf die 80/20-Regel zurückgegriffen. Vereinfacht ausgedrückt: Es ist nicht immer eine Fülle von Abfragen und Informationsrecherchen erforderlich, um zumindest eine handlungsorientierte erste Einschätzung zu gewinnen, sondern dafür reichen vielfach schon deutlich weniger Informationen aus.

Unschärfen werden in Kauf genommen

Die Hemmschwellen werden bei Tools, die auf dem Prinzip der standardisierten Individualisierung beruhen, sehr tief gelegt. Dieses Prinzip nimmt absichtlich einige Unschärfen in Kauf und setzt auf Typisierungen und schließt damit eine Lücke zwischen statischer Online-Information, solitären Rechentools und Expertensystemen, wie sie in der Beratung bereits angewandt werden. So entstehen niedrigschwellige Online-Instrumente zur Vorbereitung tragfähiger Vorsorgeentscheidungen durchschnittlicher Privathaushalte.

Sobald Komplexität abgebaut und mit Typisierungen gearbeitet wird, taucht jedoch schnell der Vorwurf unzulässiger Simplifizierungen auf, weil nicht alle denkbaren Details einbezogen wurden, weil auf Musterfälle reduziert oder vermeintlich unzulässig vereinfacht wurde. Bei der standardisierten Individualisierung geht es zum einen aber gar nicht um die letzte Detailinformation. Das ist in dieser Phase nicht erforderlich. Zum anderen geht dieses Konzept von einem Zusammenspiel von Online- und Offline-Prozessen aus.

Zwei Bausteine für den Digital Advice

Zwei Beispiele haben das DIA und evers & jung bereits entwickelt. Das eine ist der DIA-Typomat, bei dem lediglich zwei Eingaben zum beruflichen und privaten Status erforderlich sind. Für 41 verschiedene Szenarien erhält der Anwender eine knapp gehaltene Beschreibung seines Vorsorgebedarfes, die auf Vorarbeiten des Arbeitskreises Beratungsprozesse beruht. Ein zweiter Baustein ist eine Entscheidungshilfe zur Altersvorsorge-Förderung. Mit lediglich fünf Fragen klärt der Sparer selbst seine Situation in punkto geförderter Altersvorsorge ab. Am Ende erhält er einen Ausdruck mit einer knappen Zusammenfassung der Ergebnisse, mit dem er sich anschließend an einen Berater wenden kann. Damit ist die Ausgangssituation für das Gespräch schon aufbereitet.

Vertrauensbildende Maßnahmen in der Finanzberatung

Mit dem zweiten Beispiel wird deutlich, worauf vor allem das Konzept „Digital Advice“ zielt: Die Informationsasymmetrie zwischen Kunde und Berater kann bereits vor dem ersten Gespräch zumindest in Teilbereichen reduziert werden. Wer sich zuvor mit seiner eigenen Situation beschäftigt, stellt im Beratungsgespräch andere Fragen und wird daher auch andere Antworten erhalten. Digital Advice kann also auch als „vertrauensbildende Maßnahme“ angesehen werden.

Kunden werden mit Instrumenten des Digital Advice abgeholt

Die Finanzbranche befindet sich seit einiger Zeit in einer Vertrauens- und Image-Krise. Die öffentliche Diskussion über Preismanipulationen, hohe Kosten oder intransparente Produkte hat in den letzten Jahren an Umfang und Schärfe zugenommen. Wenn ein Kunde mit den Instrumenten des Digital Advice abgeholt wird und schon selbst eine grobe Handlungsorientierung besitzt und diese dann im Beratungsgespräch aufgenommen und bestätigt wird, besteht von Anfang an ein anderes Vertrauensverhältnis.

Andere Arbeitsteilung zwischen Kunde und Berater

Mit den Elementen des Digital Advise sind also zugleich zwei Vorteile für die Finanzberatung verbunden. Zum einen übernimmt der Kunde bereits einen Teil nötiger Recherchen und Positionsbestimmungen, die sonst erst im Beratungsgespräch stattfinden würden. Sie werden in die Zeit vor der eigentlichen Beratung verlagert. Es findet also eine andere Arbeitsteilung zwischen Kunde und Berater statt. Zum anderen wird die Vertrauensbildung zwischen Kunde und Berater verstärkt. Die Informationsgewinnung erhält eine andere Dramaturgie. Er kennt zumindest in groben Zügen bereits seinen Bedarf und seine Situation. Das Besondere daran: Er hat sich diese Einsichten selbst beschafft und kann diese mit den weiterführenden Vorschlägen des Beraters abgleichen.

Baukasten mit vernetzten Solitären

So wie viele Wege sprichwörtlich nach Rom führen, führen bei Digital Advice viele Wege zur Vorsorgeberatung. Anders als bei den klassischen Kommunikations- und Vertriebswegen ist nicht bereits zu Beginn eine Festlegung auf einen bestimmten Kanal erforderlich, der dann in der Regel auch nicht wieder verlassen wird. Sondern es findet eine dezentrale, gegebenenfalls auch parallele Beschäftigung statt. Jede Digital-Advice-Komponente ist für sich nutzbar als Solitär, es gibt keine zwingende Reihenfolge, die eingehalten werden muss. Aber es gibt einen inneren Zusammenhang, die einzelnen Komponenten bauen aufeinander auf, sind in einer netzwerkartigen Struktur miteinander verbunden. Der Anwender kann mit jedem Baustein einsteigen, ohne die anderen zu kennen oder vorher benutzt zu haben. Er sammelt seine Informationen an verschiedenen Punkten ein und kann von jedem Punkt aus auch auf andere Beratungsformen umsteigen.

Einmal gewonnene Einsichten bleiben erhalten

Es genügt aber nicht, die einzelnen Bausteine als Solitäre ins Netz zu stellen. Es muss zwischen ihnen eine Verknüpfung existieren. Über diesen Schritt diskutiert das DIA derzeit mit den Experten von evers & jung. Wie könnte eine solche Verknüpfung auf einer gemeinsamen Plattform erfolgen? An einzelnen Tools vorgenommene Eingaben und ermittelte Bewertungen sollten, vorausgesetzt der Nutzer ist damit einverstanden, archiviert und für weitere Digital-Advice-Bausteine vorgehalten werden. Wenn bei einer späteren Beschäftigung zu einem anderen Teilbereich diese Informationen erneut benötigt werden, lädt das Tool sie automatisch ein. Gegebenenfalls wird eine Abfrage eingefügt, ob eine Aktualisierung erforderlich ist.

Außerdem muss es Anreize geben, sich weiter mit dem Thema Vorsorge zu beschäftigen. Daher sollten die einzelnen Bausteine lenkende Verweise auf andere Apps enthalten. Der Umstieg von der Online-Beschäftigung auf eine konventionelle Beratung muss unter Wahrung der erreichten Zwischenergebnisse jederzeit möglich sein.

Lead-Generator mit einer völlig neuen Qualität

Digital Advice bietet der Finanzbranche die Plattform, um Lead-Generatoren mit einer völlig neuen Qualität zu entwickeln. Deren Ausgangspunkt ist die gewollte Beschäftigung mit der eigenen finanziellen Situation, sie geschieht in einem neutralen Raum, der frei ist von vertrieblichen Absichten und dadurch in den Augen der Kunden auch einen ganz anderen Status erhält, der Nutzer entscheidet, wann er sich womit beschäftigt, er bleibt Herr seiner Daten, bis zu dem Zeitpunkt, an dem er sich für eine Beratung entscheidet.

Zu dieser Beratung bringt er dann eine Analyse der eigenen Situation mit, die von Anfang an ein anderes Vertrauensverhältnis im Beratungsgespräch schafft. Die Ergebnisse sind auf seinem Smartphone gespeichert, das er in der Bankfiliale oder im Maklerbüro an ein Lesegerät hält und dem Berater so zur Verfügung stellt. Wer das Szenario einer medienbruchfreien Datenübernahme mit Verweis auf Schnittstellen, Investitionen und die Schwerfälligkeit großer Unternehmensorganisationen für abwegig hält, kann sich ja immer noch den kleinen Umweg über ein PDF vorstellen.


Mit dem Konzept des „Digital Advice“ beschäftigt sich das Hamburger Beratungsunternehmen evers & jung schon seit mehreren Jahren. Das Deutsche Institut für Altersversorgung hat diese Idee aufgegriffen und entwickelt gemeinsam mit evers & jung verschiedene Musterlösungen, die veranschaulichen sollen, wie Digital Advice in der Praxis funktionieren kann.

evers & jung versteht sich wie das DIA als Denkfabrik und berät Akteure aus Finanzwirtschaft und Wirtschaftsförderung zu innovativen Förder-, Beratungs- und Vertriebslösungen.


Der erste Baustein, der von evers & jung für das DIA konzipiert wurde, ist der DIA-Typomat, der Anfang des vergangenen Jahres öffentlich vorgestellt wurde. Er steht als PC-Lösung und als App für das iPhone zur Verfügung. Der DIA-Typomat liefert nach lediglich zwei Eingaben eine knappe Beschreibung des Vorsorgebedarfes, der zugleich an einem Musterfall veranschaulicht wird.