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Die digitale Lücke in der Altersvorsorge

Im Zeitalter des Internets wird auch Arbeit digitaler. Die Büroarbeit ohne Computer ist heutzutage kaum noch vorstellbar.

Doch was passiert, wenn die gesamte Arbeit nur noch online erledigt wird und zudem aus unterschiedlichsten Mikrojobs besteht, die man auf verschiedenen Online-Plattformen erledigen kann? Die sogenannte Crowd-Arbeit kommt aus Amerika, nimmt aber auch in Deutschland immer weiter zu. Bei den Crowd-Arbeitern handelt es sich um eine wachsende Gruppe, die weder arbeitsrechtlich abgesichert noch sozialversichert ist.

Der Begriff Crowd-Sourcing wurde 2006 von Jeff Howe im Onlinemagazin Wired geprägt. Hinter Crowd-Sourcing steht die Idee, dass eine große Gruppe Menschen online an einem Projekt arbeitet und durch effektive Arbeitsteilung ein schnelleres Resultat erzielt, als dies ein Computer tun könnte. Begonnen hat dieser Trend im Jahre 2005 mit der Plattform Mechanical Turk, die zunächst von Amazon intern genutzt wurde, um Duplikate von Produktbeschreibungen auf den eigenen Seiten zu finden. Der Name Mechanical Turk ist inspiriert vom Schachautomaten „The Turk“, der im 18. Jahrhundert durch Europa tourte und unter anderem Napoleon und Benjamin Franklin geschlagen hat. Später wurde enthüllt, dass es sich hierbei nicht um eine Maschine, sondern um einen Schachmeister handelte, der versteckt im Automaten spielte. Amazon preist Mechanical Turk demnach als so effizient wie ein Computerprogramm an, auch wenn die Arbeit ausschließlich manuell erledigt wird.

Auch in Deutschland hat der Crowd-Trend in den letzten Jahren Fuß gefasst. Der Frankfurter Arbeitsrechtler Thomas Klebe schätzt, dass es insgesamt ungefähr eine Million Crowd-Arbeiter in Deutschland gibt, von denen bisher die meisten in Teilzeit auf solchen Plattformen tätig sind. Auf Seiten wie „Clickworker.com“, die übrigens angeben, 700.000 Crowd-Worker zu haben, kann man beispielsweise Aufgaben wie Kategorisierung, Adressanreicherung und Online-Recherche erledigen. Weitere Online-Plattformen sind unter anderem Freelancer.de, Topcoder.com oder Mylittlejob.de.

Crowd-Arbeiter und ihre (wenigen) Rechte

Da es den „Beruf“ des Crowd-Workers in Deutschland erst seit einigen Jahren gibt, ist bisher noch nicht eindeutig geklärt, wie Crowd-Arbeiter arbeitsrechtlich einzustufen sind. Unterschieden wird aber generell zwischen internen und externen Crowd-Arbeitern. Bei interner Crowd-Arbeit stellt ein Unternehmen eine Crowd aus seinen eigenen Mitarbeitern zusammen, die online Mikrotätigkeiten für ihr Unternehmen ausüben. Die internen Crowd-Arbeiter sind bei diesem Unternehmen angestellt, ihre Arbeit unterliegt also dem Arbeitnehmergesetz.

Deutlich ambivalenter ist der Status der externen Crowd-Arbeiter. Diese erhalten Aufträge über Online-Plattformen, die externe Auftraggeber vorher dort angewiesen haben. Da zwischen Crowd-Worker und Auftraggeber aufgrund der intermediären Plattformen kein Kontakt besteht, handelt es sich offensichtlich nicht um ein Arbeitnehmerverhältnis. Wegen der fehlenden wirtschaftlichen Abhängigkeit von einem Auftraggeber sind Crowd-Arbeiter wohl rechtlich auch nicht als arbeitnehmerähnlich einzustufen. Zudem findet das Heimarbeitsgesetz bei ihnen keine Anwendung. Nach dem Ausschlussprinzip werden Crowd-Arbeiter daher bisher wie Solo-Selbstständige – also Unternehmer –  behandelt. Sie müssen sich selbst versichern, haben keine Arbeitnehmerschutzrechte und dementsprechend keinen Anspruch auf Urlaub, Mindestlohn, Entgeltfortzahlung oder Rentenbeiträge.

Unfaire und teils rechtswidrige AGB

Laut Arbeitsrechtler Thomas Klebe bilden daher bisher einerseits das Zivilrecht und andererseits die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Plattformen, über die die Crowd-Arbeiter ihre Aufträge erhalten, die rechtliche Basis der Crowd-Arbeit. Diese seien häufig dem Crowd-Worker gegenüber sehr unfair und teilweise rechtswidrig. Noch problematischer wird es, wenn sich der Geschäftssitz der jeweiligen Plattform außerhalb von Deutschland befindet, da das deutsche Recht dann nur in Extremfällen Anwendung findet.

Was verdienen Crowd-Arbeiter?

Da Amazon Mechanical Turk mit seinen zehn Jahren am längsten besteht, ist es die erste Adresse, wenn man nach Statistiken zur Situation aktiver Crowd-Arbeiter sucht. Laut einer Studie amerikanischer Wissenschaftler an der University of California und der University of Washington Seattle verdienen Crowd-Arbeiter bei Amazon Mechanical Turk im Durschnitt in der Stunde weniger als zwei Dollar.

Crowd-Work ist in Deutschland erst in den letzten zwei Jahren in das Blickfeld der Forschung gefallen, daher fehlt es bisher an umfangreichen Studien zur Bezahlung von Crowd-Arbeitern. Allerdings läuft seit Mai 2014 ein Forschungsprojekt an den Universitäten Kassel und St. Gallen. Die Ergebnisse sollen in den nächsten Wochen veröffentlicht werden. Projektleiter Jan-Marco Leimeister gab DIA-Quarterly vorab einen Einblick in die Studie. Die im Rahmen des Projektes durchgeführten Umfragen zeigen, dass die Stundenlöhne von Crowd-Arbeitern sehr stark variieren. So erhält man als Crowd-Arbeiter für Übersetzungs- und Schreibtätigkeiten in Deutschland mitunter einen Stundenlohn von deutlich unter fünf Euro, während Programmierer und IT-Dienstleister teilweise bis zu 70 Euro in der Stunde bezahlt bekommen können. Dementsprechend variieren auch die Monatsgehälter zwischen Brutto-Einkommen von unter 500 Euro bis zu über 4.000 Euro.

Haupteinnahmequelle Crowd-Arbeit?

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der in der Forschung bisher zu kurz kam, ist die Frage, wie groß der Anteil derjenigen ist, die hauptberuflich als Crowd-Worker arbeiten und dementsprechend finanziell von dieser Tätigkeit abhängig sind. In Bezug auf Deutschland wissen wir bisher nur, dass ein Großteil der Crowd-Arbeiter bisher dieser Tätigkeit nur in Teilzeit nachgeht. Auch bei Mechanical Turk verbringt der Großteil der Crowd-Arbeiter zwischen zehn und 20 Stunden auf der Plattform, während weniger als 15 Prozent der Mitglieder länger als halbtags arbeiten. Das hat eine Studie der New York University herausgefunden.

Leimeisters Studie konnte aufgrund mangelnder Kooperation der Plattformen keine derartigen Zahlen für Deutschland ermitteln. Er kann sich aber gut vorstellen, dass selbst wenn bisher nur wenige Crowd-Arbeiter dieser Tätigkeit als Haupteinnahmequelle nachgehen, der Markt als solcher in Zukunft weiter wachsen wird.

Altersvorsorge in der Crowd

Dementsprechend besteht potentiell das Risiko, dass sich in Deutschland eine Gruppe selbstständiger Crowd-Arbeiter bildet, die von der traditionellen Altersvorsorge nicht abgedeckt sind. Über Alternativlösungen sprach das DIA mit Dr. Thomas Klebe. Er kann sich beispielsweise vorstellen, die Altersvorsorge verpflichtend zu etablieren, um der Altersarmut von Crowd-Arbeitern vorzubeugen. Eine andere Alternative, die auch Klebe realistisch findet, wäre ein Fonds nach dem Vorbild der Künstlersozialkasse, in den die Unternehmen beziehungsweise die Plattformen einzahlen, die Crowd-Arbeit nutzen. In jedem Fall muss in diesem Zusammenhang über Lösungsvorschläge diskutiert werden, damit Altersvorsorge auch in der Crowd in Zukunft möglich ist.